Ich hatte ja im August einen offenen Brief an den Herrn Ehrmann von der Deutsche Kinderhilfe geschrieben.
Dieser wurde eigentlich recht zügig (innerhalb einer Woche) beantwortet. Ich habe es bisher nur leider versäumt die Antwort hier zu veröffentlichen. Das möchte ich hiermit nun sehr verspätet nachholen:
Berlin, 25. August 2009 Ihre E-Mail vom 19.8.2009
Sehr geehrter Herr Bahls, vielen Dank für Ihren offenen Brief.
Ich antworte Ihnen persönlich, stelle Ihnen aber frei, meine Antwort zu veröffentlichen.
Zunächst möchte ich Ihnen für Ihre Arbeit und Ihr Engagement für Opfer sexuellen Missbrauchs meinen großen persönlichen Respekt aussprechen. Auch wenn wir bei dem Thema Internetsperren sogenannter kinderpornographischer Seiten im Internet nicht einer Meinung sind, schätze ich das Engagement Ihres Vereins sehr.
Sie sind mit den Einlassungen der Deutschen Kinderhilfe zum aktuellen Fall des Bundestrainers Ewald K. nicht einverstanden.
Es geht der Deutschen Kinderhilfe und mir persönlich um den Opferschutz, der in Deutschland immer noch hinter dem Täterschutz zurücksteht. Die Traumatisierung der Opfer durch mehrfache Aussagen – teilweise werden die Opfer vollkommen unsensibel dem Täter gegenüber auf den Zeugenstuhl im Gerichtssaal gesetzt – ist ein als Justizskandal zu bezeichnender, immer wieder zu beobachtender Vorgang. Ziel muss es sein, die Vernehmung im Prozess zu vermeiden. Doch bedarf es dazu keiner Absprachen mit dem Täter, es gibt bessere Möglichkeiten:
Damit ein Strafverfahren in Gang gesetzt werden kann, müssen die Opfer polizeilich vernommen werden. Es geht darum, dass diese dezidierten Aussagen, die ein Verfahren erst möglich machen, in einer opfergerechten Atmosphäre durch geschulte Vernehmungsbeamte auf Video aufgezeichnet werden. Ziel bei Missbrauchsverfahren muss es sein, dass das Opfer lediglich einmal aussagen muss. Diese Vorgabe wird nur in BadenWürttemberg auch tatsächlich beachtet. In allen anderen Bundesländern ist die Situation defizitär: Weder sind die entsprechend technisch ausgestatten kindgerechten Räumlichkeiten, in denen die Kameras nicht sichtbar sind, noch das qualifizierte Personal vorhanden.
Würde diese eine Aussage aufgezeichnet – dies sieht die Strafprozessordnung ausdrücklich vor – könnte sie in das Hauptverfahren eingeführt werden. Strafverteidiger haben dann keine Möglichkeit mehr, sogenannte „Deals“ auszuhandeln.
Da es sich um die Opferaussage handelt, wird bei der Vorführung im Prozess die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Ich habe als Anwalt die Nebenklagen von Opfern in Missbrauchsverfahren vertreten und dabei erschreckende Defizite bei Richtern und Staatsanwaltschaften festgestellt.
Um die Öffentlichkeit für diese Defizite zu sensibilisieren und um den Druck auf die Politik zu erhöhen, endlich Mittel für die flächendeckende Einrichtung von Schwerpunktabteilungen und Qualifizierung bereit zu stellen, ist die Öffentlichkeitsarbeit im Interesse der Opfer ganz wichtig. Natürlich sind „Deals“ wie in München kostengünstiger, sie ersetzen aber nicht die dringend erforderlichen Reformen in der Prozessführung!
Einen Zusammenhang zwischen hohem Strafmaß und der Tötung von Kindern gibt es nicht. Die Deutsche Kinderhilfe ist der Auffassung, dass die gesetzlichen Rahmen für Sexualdelikte, gerade in einem so drastischen Fall wie bei Ewald K., ausgeschöpft werden sollten. Insbesondere sind in den Fällen, in denen ein hohes Rückfallrisiko besteht, die Lücken bei den Regeln zur sogenannten Sicherungsverwahrung zu schließen.
Vielen Dank für Ihre Anregungen. Gerne setze ich diesen Dialog in einem persönlichen Gespräch mit Ihnen fort.
Mit freundlichen Grüßen
Georg Ehrmann
Deutsche Kinderhilfe e.V.
Vorstandsvorsitzender
[Nachtrag von C.Bahls: Dass die Pressmitteilungen der DKH seit dem Sommer wirklich zivilisierter geworden sind, kann man auch hier nachvollziehen[Nachtrag zum Nachtrag: der Text aus dem Gesellschaftertagebuch aus dem Jahr 2007 ist auch nicht so daneben]]
PS: Diese unheimliche Verspätung war meiner damaligen Arbeitsbelastung geschuldet. Als ich Herrn Ehrmann Heute bei der Anhörung der FDP sah, meldete sich wieder mein schlechtes Gewissen.